Elfriede Lohse-Wächtler
Eine Künstlerin zwischen Selbstermächtigung und gesellschaftlichen Widerständen
Die Ausstellung „Ich als Irrwisch“ im Ernst Barlach Haus präsentiert eindrucksvolle Werke von Elfriede Lohse-Wächtler. Sie war eine unbeugsame Künstlerin, die sich mutig gegen gesellschaftliche Widerstände behauptete und ihre einzigartige Perspektive in der Kunst verwirklichte.
Ausstellungsdetails
Der Ausstellung, die vom 27. Oktober 2024 bis 9. Februar 2025 aus Anlass des 125. Geburtstages von Elfriede Lohse-Wächtler (Dresden 1899 – 1940 Pirna) in Hamburg gezeigt wird, kommt ein großes Verdienst zu: sie stellt das Werk der Künstlerin in den Vordergrund, um es aus sich heraus wirken zu lassen, anstatt es vor allem als Ausdruck ihrer Biografie zu betrachten und zu deuten. Eigentlich – so könnte man denken – eine Selbstverständlichkeit, doch in ihrem Fall wurde das bislang versäumt.
Kunst und Psychologie
Nur allzu oft wurden ihre Arbeiten als Zeichen psychischer Labilität, ja Haltlosigkeit gesehen, wenn sie – vor allem in ihrer Hamburger Zeit – in nächtlichen Kneipen- und Bordellszenen aus St. Pauli oder dem rauen Umfeld des Hafens drastische und teils bissige Milieustudien eindringlich schilderte. Eine Konnotation, die in der Kunstgeschichtsschreibung für ihre männlichen Künstler - Kollegen aus dieser Zeit nicht zur Debatte stand.
Eine andere Sprache
Nein, die Arbeiten von Lohse-Wächtler sprechen eine andere Sprache, sie zeugen von einer hochsensiblen Persönlichkeit, die sich im Zeichen einer Selbstermächtigung unermüdlich und gegen allerlei Widerstände in eine Männerdomäne vorgearbeitet hat. Dabei ist sie – statt einer fleischlich-erotischen Zuspitzung wie bei den männlichen Kollegen – an der psychologischen Durchdringung des Dargestellten interessiert. So spiegeln sich in den Gesichtern der Huren oftmals die harten Regeln des „Gewerbes“ wider. Und bei so mancher Paardarstellung steht der Verletzlichkeit der Seele oder der Leere im Blick der Frau die unbändige Gier ihres männlichen Partners gegenüber.
Vielfalt der Darstellungen
Bei den Typendarstellungen aus dem Hamburger Hafen finden sich neben den Stereotypen eines norddeutschen „Fischkopf“ auch exotische Figuren aus fernen Welten, die die Anmutung eines Dschingis Khan haben.
Überhaupt ist die Vielfalt, sowohl in technischer als auch in thematischer Hinsicht, ein wesentliches Merkmal ihres Werks. Sie war eine begnadete Zeichnerin und hat mit dem Bleistift geradezu altmeisterlich anmutende Studienköpfe geschaffen. Insbesondere auch in der Zeit ihrer Krankenhausaufenthalte wegen psychischer Probleme zeugen diese eindringlichen Charakterstudien nicht nur von ihrem Einfühlungsvermögen, sondern von ihrer schöpferischen Stärke und ihrem starken Willen.
Naivität als Stilmittel
Und wenn sie ländliche Szenen aus dem Alltagleben von Bauern oder Dorfbewohnern in einem naiven Malstil wiedergibt, dann ist dies kein Unvermögen, sondern eine gewollte Darstellung eines einfachen, ursprünglich anmutenden Lebens.
Eigenständiger Weg
Von Beginn ihrer künstlerischen Entwicklung an, wollte sie ihren eigenen Weg gehen.
Angefangen bei der Begeisterung für den Ausdruckstanz einer Mary Wigmann über den Anschluss an künstlerische Avantgardekreise ihrer Heimatstadt Dresden, wo sie zeitweise unter einem männlichen Pseudonym arbeitete, bis hin zu dem Vordringen in Männerwelten und Sperrbezirke in Hamburg, wohin sie ihrem Ehemann, dem Maler und Sänger Kurt Lohse gefolgt war.
Trotz oder gerade wegen des Scheiterns ihrer Ehe sowie materiell schwieriger Lebensumstände hat sie unnachgiebig und eigensinnig ihre Vorstellungen verfolgt.
In ihren vielen Selbstbildnissen, die sie in dichter Folge vor allem um 1930 geschaffen hat, sehen wir eine Frau, die sich ungeschönt und eindringlich immer wieder selbst befragt.
Einfühlsamkeit und Ausdruckskraft
Dabei zeugt der ausdruckstarke und energiegeladene Zeichen- und Pinselduktus gleichzeitig von einer Einfühlsamkeit, die in der Kunst der Zeit ihresgleichen sucht. Dies wurde von Zeitgenossen erkannt und in Ausstellungen gewürdigt. Dennoch war die Künstlerin – nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Gründen - gezwungen, 1931 zu ihren Eltern nach Dresden zurückzukehren.
Psychische Belastungen
Ein spannungsgeladenes familiäres Umfeld, aber sicher auch die mit den politischen Umbrüchen eines erstarkenden Nationalsozialismus verbundene Unruhe setzten ihrer Psyche so sehr zu, dass es bereits im Frühjahr 1932 zu einem Krankenhausaufenthalt kam, gefolgt von einer Einweisung in die psychiatrische Landesanstalt Arnsdorf in Sachsen.
Sie wurde als „schizophren“ diagnostiziert und entmündigt. Es folgte eine Zwangssterilisation. Dennoch blieb ihr Wille zu künstlerischer Arbeit ungebrochen, was sich wiederum in einer Reihe ausdrucksstarker Zeichnungen manifestierte. Schließlich wurde sie im Rahmen der nationalsozialistischen Krankenmorde 1940 nach Pirna-Sonnenstein deportiert und ermordet.
Mahnung und Vermächtnis
Ihr vielfältiges und eindrucksvolles Oeuvre sollte uns Mahnung und Vermächtnis sein, künstlerische Stimmen, auch wenn sie ungewöhnlich oder unbequem sind, zu schätzen und zu fördern. Und dies umso mehr in politisch unruhigen Zeiten.
Dazu gibt die Ausstellung im Ernst Barlach Haus noch bis zum Februar kommenden Jahres die beste Gelegenheit. Es lohnt sich!
Euer Michael