Thomas Kozik im Interview
Ein Einblick in den spannenden Beruf eines Archäologen.
Karoline von ARTIMA im Interview mit dem Archäologen Thomas Kozik.
Wie wird man heute ein moderner Archäologe mit eigener Firma?
Wichtig ist es vor allem, dass man im richtigen Bundesland lebt. Denn der Denkmalschutz in Deutschland ist Sache der Bundesländer und jedes Land handhabt den Denkmalschutz anders.
In Hessen, Baden-Württemberg und Bayern beispielsweise sind privat geführte Grabungsfirmen wie unsere erlaubt. In Sachsen oder anderen Bundesländern hingegen übernimmt das Landesamt für Denkmalpflege die gesamte Archäologie. Schon rein rechtlich gesehen würden wir in diesen Bundesländern keine Aufträge bekommen. Ausschlaggebend ist also das jeweilige Denkmalschutzgesetzt. Dazu kommt, dass der Denkmalschutz und somit auch die Archäologie eine Bauauflage sind.
In meinem Fall war es so, dass ich mich einer bestehenden Firma angeschlossen habe, weil ich dadurch ihren Markt erweitern konnte. Durch mich wurden für diese Firma Unterfranken und Teile Hessens erschlossen. Zuvor habe ich in Würzburg und München studiert, und dann freiberuflich gearbeitet. Heute bin ich einer der drei Geschäftsführer der Neupert, Kozik & Simm GbR.
Arbeiten Sie ausschließlich auf nationaler Ebene oder auch international?
Auf Grund des Denkmalschutzgesetztes in den oben genannten Bundeländern liegt unser Schwerpunkt auf Bayern. Momentan haben wir verstärkt mit der Konkurrenz aus England zu kämpfen, die im Rahmen bundesweiter Großprojekte versuchen, in den Markt reinzurutschen. Bei solchen Großprojekten ist viel archäologische Arbeit von Nöten, zum Teil eben auch in Bayern, aber hier konkurrieren wir eben momentan stark mit englischen Firmen.
Was ist Ihr skurrilster Fund?
Es gibt teilweise schon absurde Funde. Skurril sind meist die Funde aus Zerstörungsschichten des 2. Weltkrieges, da es vorkommen kann, dass man Teile von Fahrrädern oder Mopeds oder auch Nazi-Kantinen-Geschirr in aufgefüllten Bombenkratern findet. Auf einer Grabung fanden wir in einem Garten Teile eines 1945 zerstörten und verschütteten Hauses und darin einen Porzellanpuppenkopf, der bei allen Beteiligten ein etwas mulmiges Gefühl weckte.
Bei einer Ausgrabung einer Latrine aus dem späten 15. Jahrhundert in der Münchner Innenstadt war neben der Freilegung von Alltagsgefäßen, Katzenknochen und Ähnlichem vor allem der begleitende Geruch das Herausforderndste. Es ist nicht in Worte zu fassen, welche Ammoniak-Dämpfe sich entwickeln und aus der Grube nach oben strömen, wenn der Inhalt einer rund 500 Jahre alten Latrine plötzlich freigesetzt wird. Man selbst steht in der Grube, schaufelt, putzt und sucht nach Funden, während man aber hauptsächlich versucht, bei Bewusstsein zu bleiben…
Ich erinnere mich an einen weiteren sehr spannenden Fund: Einen Familienfriedhof aus der Frühbronzezeit (um 2.000 vor Chr.) in Jengen im Allgäu. Dabei handelte es sich unter anderem um zwei unglaublich reich ausgestattete Frauenbestattungen mit Bronzeschmuck an Kopf und Oberkörper. Die Männer hatten Messer als Grabbeigaben, aber die Pracht der Grabbeigaben der Frauen war etwas ganz Besonderes und so zu sagen eine Art Bilderbuchfund: Sie waren am Oberkörper mit Spiralplatten geschmückt sowie mit Halsringen, Gewandnadeln und vielen weiterer bronzenen Schmuckgegenständen versehen. Auf Grund dieses aufwändigen Schmucks fragten wir uns, ob es sich vielleicht um Priesterinnen handeln könnte.
Diese Baustelle war denkmalrechtlich beauflagt, das heißt, es durfte nicht ohne die Anwesenheit eines Archäologen gebaggert werden. Da sich das Grundstück in der Nähe einer bereits sehr früh erwähnten Kirche befand, vermutete man im Umfeld alemannische, also frühmittelalterliche Gräber. Anfangs hatte es den Anschein, als würde es sich bei den archäologischen Verdachtsstellen um Pflanzgruben für Bäume handeln, da wir unüblich tief ergebnislos gruben. Bei den letzten Spatenstichen kam jedoch plötzlich ein grüner menschlicher Knochen zum Vorschein: oxidierte Bronze. Schnell stellte sich heraus, dass es sich nicht um Gräber des Frühmittelalters, sondern um Bestattungen aus der Bronzezeit handelte. Insgesamt wurden in Jengen neun Körperbestattungen in insgesamt acht Grabgruben vorgefunden. Zu diesem Fund gab es sogar im Magazin Spiegel 2016 einen Beitrag. Hier zum Artikel.
Die Verstorbenen wurden mit leicht angewinkelten Extremitäten auf der Seite liegend beigesetzt. Dabei gelangten die männlichen Individuen mit dem Kopf im Norden, die weiblichen Bestatteten mit dem Kopf nach Süden in die Gräber, so dass der Blick jeweils gen Osten gerichtet ist. Zwei der Grabgruben wurden doppelt belegt, eine war dagegen leer.
Bemerkenswert ist die ausgesprochen reiche Ausstattung der Gräber mit Trachtbestandteilen und Schmuck aus Bronze. Zudem konnten klare Hinweise auf hölzerne Grabeinbauten dokumentiert werden.
Und wo gehen die Fundstücke hin?
Grundsätzlich geht erst einmal alles an das Landesamt für Denkmalpflege des entsprechenden Bundeslandes.
Zumindest wird hier die Archivierung überprüft. Bis zum 30. Juni dieses Jahres war der Grundeigentümer der Besitzer der Funde. Ab 01.07.2023 gibt es eine neue Schatzregel in Bayern: alle Funde gehören somit dem Freistaat. Bei einem Wert von über 1.000 Euro gibt es eine Entschädigung für den Bauherren und normalerweise tritt der Bauherr das Eigentumsrecht bereitwillig ab.
Wenn man vor dem 30.06.2023 das Eigentumsrecht behalten wollte, musste man die Funde permanent der Wissenschaft zur Verfügung stellen und vor allem archivbeständig lagern – was natürlich die wenigsten konnten und wollten.
Findet man Ihre Fundstücke heute in einem Museum?
Ja, tatsächlich! Die Bestattungen aus Jengen im Allgäu sind in der archäologischen Staatssammlung in München ausgestellt.
Einige Funde befinden sich auch in kleineren Regional- und Heimatmuseen, aber das meiste geht nicht ins Museum, sondern in die Lagerräume des Landesamts für Denkmalspflege und wird dort im Rahmen von Forschungsarbeiten und -projekten bearbeitet.
Haben Sie schon mal einen Dinosaurierknochen gefunden?
Absolutes nein, denn so tief graben wir nicht und die Archäologie befasst sich per Definition nur mit den Hinterlassenschaften der Menschheitsgeschichte. Zudem sind Dinosaurierknochen immer versteinert und das gehört als Teilbereich zur Geologie und Paläontologie.
Was möchten Sie unbedingt mal finden?
Was ich wirklich gerne einmal ausgraben würde und bisher noch nicht das Glück dazu hatte, ist ein römisches Castel oder ein frühmittelalterliches Gräberfeld.
Letztere sind meist sehr reich ausgestattet mit schön verzierten Trachtenbestandteilen sowie Schnallen und Fibeln und Männergräber zusätzlich mit Waffen. Aufgrund des Fundreichtums und der Vielseitigkeit ist sowohl das Ausgraben als auch die anschließende Dokumentation sehr interessant und spannend für uns Archäologen. Oftmals wird hierfür von den Verantwortlichen des Bauvorhabens genügend Zeit eingeplant und man kann auf das Verständnis von allen Beteiligten zählen, was leider selten der Fall ist. Zum Glück gibt es frühmittelalterliche Gräberfelder sehr häufig in Franken, sodass ich im Laufe meiner Karriere noch auf eine Chance hoffe.
Bei einem römischen Castel würde man Truppenlager mit Holzmauern und Holzgebäuden finden. Auch hier kann das Fundmaterial sehr vielseitig sein und von einfachen Soldatenunterkünften bis zu Ausstattungen hochrangiger Offiziersgebäude reichen.
Wie groß ist Ihr Team?
Die ganze Firma hat ca. 45 Angestellte; mein Team in Franken besteht aus 8 Angestellten. Unser Hauptsitz befindet sich in München.
Wer sind Ihre Auftraggeber?
Grundsätzlich kann jeder unser Auftraggeber sein, der Erdarbeiten durchführen lässt. Dies geschieht meist im Zusammenhang mit Bauprojekten, das heißt es kann vom öffentlichen Bauträger über Konzerne bis hin zur Privatperson reichen.
Manche Auftraggeber planen von Vornherein viel Zeit ein und beauftragen uns privat. Manchmal sind wir dann aber schon nach einer Woche wieder weg, wenn nichts archäologisch Relevantes auftaucht, aber es kann natürlich auch das Gegenteil der Fall sein. So etwas weiß man im Vorfeld nie.
Aber generell muss man sagen, dass es leider an Aufklärung über die Kosten und den tatsächlichen Aufwand fehlt.
Was sammeln Sie privat?
Ich selbst bin kein großer Sammler. Von meinen ersten Grabungen besitze ich einige Fundstücke, hauptsächlich spezielle Scherben. Einer meiner Kollegen hingegen läuft schon seit seiner Kindheit über Felder, um nach interessanten Artefakten zu suchen und hat mittlerweile eine große Scherbensammlung.
Kurzportrait:
Thomas Kozik studierte Klassische Archäologie, Vor- und Frühgeschichte und Provinzialrömische Archäologie an den Universitäten in München und Würzburg. Nach seinem Magisterabschluss (Thema "Mosaikausstattungen Römischer Stadthäuser in Spanien") arbeitete er für verschiedene Grabungsfirmen im Süddeutschen Raum bis er im Jahr 2018 als Teilhaber in die Neupert, Kozik & Simm GbR einstieg. Seitdem betreut er hauptsächlich Grabungen im unterfränkischen Bereich sowie in Hessen und nördlichen Baden-Württemberg, aber auch große Projekte wie z.B. Stromtrassen in Niederbayern.
Vielen Dank für den Einblick in Ihre Arbeit!
Das Interview führte Karoline