Der Blick hinter die Schönheit startet auf dem Müll
ARTIMA Interview mit Michael Oess, Neue Kunst Gallery Karlsruhe
Auf der Art Bodensee zeigte Galerist Michael Oess, Neue Kunst Gallery Karlsruhe, kürzlich auch eine Show der Künstlerin Patrizia Casagranda. Auf den ersten flüchtigen Blick erscheinen die großformatigen Bilder der schönen Frauen dekorativ. Bei genauerem Hinsehen entdeckt man an der dicken Oberfläche der Bilder, die aus Fernsicht an Siebdrucke der Pop Art Ära erinnern, auch Noppen und eine Netzstruktur, echte Sari-Stoffe, Mörtel, Gips und Kartonagen. ARTIMA stellte Michael Oess drei Fragen zur Künstlerin.
ARTIMA: Wo findet die Künstlerin tatsächlich Ihre Motive und wer sind diese jungen Mädchen?
Michael Oess: Vor Ort in Indien, wo sich die Künstlerin Patrizia Casagranda auch länger aufhält. Die jungen hübschen Frauen sind 'Müllmädchen'. Sie trifft die Mädchen und ist beeindruckt von ihrer natürlichen Schönheit und Einfachheit. Sie fotografiert die Mädchen, trinkt mit ihnen Tee, nimmt sich ihrer an und bindet ihre Porträts in den speziellen Herstellungsprozess der Bilder ein.
Jedes Mädchen, das zur niedrigsten Kaste in Indien gehört, bekommt pro verkauftes Bild 50,00 Euro. Ein Mädchen hat bereits 900,00 Euro. Unfassbar viel Geld für die Mädchen. Sie sind damit quasi reich. Fast alle sparen das Geld an, um bei einer möglichen Hochzeit in eine höhere Kaste einheiraten zu können. Das berührt.
Die Fassade oder in dem Fall das Bild "bröckelt". Die Situation der Frauen und auch die Vergänglichkeit spielen eine große Rolle. Was gibt uns die Künstlerin mit auf dem Weg, wenn das Kunstwerk bei uns in der Wohnung hängt?
Die Ästhetik der Oberfläche. Die Gesichter der Frauen konkretisieren sich erst aus der Distanz. Von Nahem fallen die unterschiedlichen und ungewöhnlichen Materialien auf, die den Betrachter zum Nachdenken anregen. Dennoch, die Porträts haben primär etwas Schönes.
Auch der soziale Hintergrundgedanke der Bilder ist wichtig. Die Künstlerin trägt dazu bei, dass die 14 bis 17 Jahre alten Mädchen glücklich sind und unterstützt sie vielversprechend."
Was fasziniert Sie selbst an den ungewöhnlichen Arbeiten?
Das Menschliche, die Begegnung, die Unbekümmertheit trotz Armut, der gesamte soziale Aspekt.
Natürlich bin ich auch von der speziellen Technik der Arbeiten begeistert, die Patrizia Casagranda in Indien selbst entwickelt hat. Es sind großartige Kunstwerke einer New Pop Art. Die Schönheit und Vergänglichkeit lässt sich an jedem Bild fühlen.
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