Kunstszene

Atelierbesuch in der Metropolregion: AINO

Eine Welt im Wachs

ARTIMA hat sich zum Atelierbesuch in Heidelberg mit der Künstlerin AINO getroffen. In ihrem Atelier in der Kurfürsten-Anlage öffnet sich plötzlich und unvermittelt eine andere Welt.

AINO während des Arbeitsprozesses, Fotos: Uli Weise

Schon von außen gesehen, scheint die Fassade des Ateliers etwas anderes zu sein, als es dann in Wirklichkeit ist. Es ist wie ein Hinweis auf die Kunst von AINO: man sollte doch genauer hinsehen, um das, was sich nicht sofort erschließt, exakter und detaillierter erfassen zu können.

Die ehemalige Fein-Bäckerei und Mehlhandlung ist inzwischen renoviert und modernisiert. Sie birgt - in helles Licht getaucht – einen Anlaufpunkt der besonderen Art. Der erste Raum ist mit seiner großen Schaufensterscheibe als Galerieraum gestaltet und im Nebenraum ist das Atelier von AINO untergebracht.

Hinter diesem Pseudonym verbirgt sich eine faszinierende Künstlerin, die eigentlich Architektur studiert hat, inzwischen aber zur Bildenden Kunst übergelaufen ist.

Beim Betreten der Galerie bzw. des Ateliers riecht es nach Wachs und der Holzboden ist nicht nur geölt, sondern er ist vor allem im Arbeitsbereich wachsgetränkt. Säckeweise steht das Wachs herum, neue, kleine Pellets oder aber auch altes, bereits verwendetes und wieder abgekratztes und ausgebrochenes Wachs, das in Kisten aufbewahrt auf seine Wiederverwendung wartet. Das Nicht-Gelingen des einen Werks ist die Chance für ein anderes, eine Wiedergeburt aus dem Verworfenen heraus. Grundsätzlich sind die Werke und ihre Gestaltung durchgeplant, bereits die Grundplatte die dann später als Hintergrund und als stabilisierende, haltgebende Aufhängung fungiert, wird von einem Schreiner ganz nach den Anforderungen und Vorgaben von AINO angefertigt. Danach baut sie aus festem Karton eine Art Rahmen um die Grundplatte, in den dann später das Wachs gegossen wird. Erstmal aber werden mit flüssigem Wachs mit Hilfe eines Pinsels die Zwischenräume zwischen Karton und Grundplatte abgedichtet. Erst dann kann das Wachs Schicht für Schicht eingegossen werden. Es ist ein langsamer Prozess, der Zeit lässt, sich mit dem Material zu befassen. Es dauert seine Zeit bis das flüssig-heiße Wachs verarbeitet werden kann. Wie beim Schmieden, wo der erfahrene Schmied an der Farbtemperatur des Eisens erkennen kann, ob er schon bzw. noch damit arbeiten kann, so erkennt AINO an dem Aushärtungsprozess des Wachses, ob sie beginnen kann oder ob sie noch warten muss. Wie ein übergroßer Fingerabdruck sieht das erstarrende und erkaltende Material zwischendurch aus und es reicht AINO ein kleiner Druck mit dem Finger, um zu wissen, wann sie starten kann. Den Startpunkt und die Arbeitsgeschwindigkeit legt das Wachs fest, denn nur so lässt sich das umsetzen, was die Künstlerin sich vorstellt. Die Materialien und Objekte, die sie dann ins Wachs einbringt, haben in der Regel einen symbolhaften Charakter. Fundstücke, Samen, getrocknete Blumen, kleine Figuren oder Bücher bekommen im Wachs eine neue tieferliegende Bedeutung. Und das ist durchaus im doppelten Wortsinn zu verstehen.


Das Arbeiten mit Wachs ist eigentlich das Arbeiten mit der Zeit oder genauer gesagt das Arbeiten mit einem Zeitfenster. Die Grenzen, die das Material vorgibt und die Möglichkeiten, die es bietet, sind alle im Erfahrungsschatz von AINO enthalten. Sie kennt beides inzwischen genau, die Grenzen und die Möglichkeiten und sie weiß damit umzugehen. Nur dann lässt sich der Werkstoff Wachs gestalterisch nutzen und nur dann lassen sich bestimmte Wirkungen erzielen. So entstehen je nach Temperatur über dem eingebrachten Objekt kleine Bläschen oder der Grad an Transparenz des Wachses lässt sich vage steuern. Auch auf die Oberflächenwirkung kann AINO Einfluss nehmen, mal wird die oberste Schicht abgezogen und geglättet, mal bleibt die letzte aufgebrachte Wachsschicht so stehen, wie sie erkaltet ist. Trotzdem bleibt ein letzter Rest Ungewissheit und Zufall übrig. Nicht alle Facetten lassen sich planen und das fertige Kunstwerk hat auch einen eigenen Anteil an seiner Entstehung und an seiner Bildwirkung.

Man kann darüber spekulieren, ob die eingebrachten Objekte in das Wachs eintauchen oder aus dem Wachs auftauchen, ob es sich um ein Versenken oder ein Archivieren, ein Verdeutlichen oder ein Verklären handelt. Die Antwort ist und bleibt ein offenes Geheimnis, da das Wachs die Objekte in eine eigenwillige Unschärfe taucht. Es gibt auch Werke, die sich im Laufe der Zeit verändern. Zum einen durch den sich ändernden Lichteinfall oder weil sich die organischen Strukturen der eingeschlossenen Materialien farblich verändern und damit ein immer neues Erleben des bereits Bekannten ermöglichen. Ganz am Anfang ihres Schaffens waren es Steine, die AINO vom Wachs umspielen ließ.  Inzwischen sind Serien von Objekten entstanden, die ein Bad im Wachs nehmen durften. AINO schafft es inzwischen sogar Farbe in geometrische Formen dem Wachs einzuschreiben. Die Arbeiten leuchten, sie regen zum Auf- und Nachspüren an, vieles bleibt verborgen, aber genau diese Bildwirkung ist gewünscht. Das Hinsehen ist ein Erleben, ein Erkennen oder auch nur eine Art Stochern und Suchen im Numinosen. Es ist kein Zurschaustellen und kein Aufdecken, es ist ein Angebot: eine Anteilnahme an der Veränderung.

Die Bildreihe in der Galerie unten zeigt die Entstehung eines Kunstwerks aus der Reihe RECEIPTS. Aus alten Kassenbons, die in Wachs getränkt werden, schichtet AINO Schritt für Schritt eine neue Struktur. Mit Hilfe eines Spachtels öffnet sie linear die noch weiche Struktur und verankert die Bons somit in der Grundmasse des Wachses. Die schwarze Färbung ergibt sich aus der Dauer, in der das Thermopapier der Bons in dem heißen Wachs getränkt wird. Die dunklen Papierstreifen wirken wie Schieferschindeln und der sanft geschichtete Verlauf verdichtet die einzelnen Bons zu einer Ruhe ausstrahlenden, sanften Wellenform.

Wer noch weitere Werke im Original sehen möchte, kann vor Ort einen Termin vereinbaren oder aber erstmal auf der Homepage der Künstlerin weiterschauen:

www.ainoartist.com

Atelier AINO
Kufürsten-Anlage 55
69115 Heidelberg

 

Ein Artikel von Gastblogger Uli Weise (kunstblog-mannheim.de)

Entstehung eines Kunstwerks (aus der Reihe RECEIPTS)

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