Buntes Treiben: Fremdgehen in Venedig
Arbeiten des Künstlers Dietmar Brixy
Um dem Bunten Treiben in Venedig zu folgen muss man zunächst tief in den Arbeitsprozess des Künstlers Dietmar Brixy eintauchen. Spektakulär ist es, wenn man das Glück hat, dabei zu zusehen.
Brixy im Prozess
Die Farbexplosionen auf der Leinwand entstehen auf stillem tiefem Schwarz. Eine einzige Nicht-Farbe, fast ein wenig Kasimir Malevich aus dem Jahr 1915. Auf der schwarzen Fläche geht der technische Ritt durch die Kunstgeschichte weiter zum sog. action painting, indem Brixy die Bildfläche mit Pinsel und Farbe bespritzt, wild und stetig. Farbtuben werden auf der Leinwand ausgepresst und es wird gerakelt, was das Zeug hält. Durch das Werkzeug Rakel werden die vielen Farbenschichten auf der Oberfläche verteilt und gedrückt, sodass ganz überraschende fantastische Formationen entstehen. Noch mehr satte Tubenfarbe wird aufgetragen, um mit bloßen Händen eines von zwei ikonischen Malerei Merkmalen auf der Leinwand zu schaffen: Eine Art schwungvoller farbenprächtiger Theatervorhang, der die Farbebenen mit einer Tiefenwirkung trennt. Inszeniert, groß und gewaltig für das Auge des Betrachters.
Ein frisches Feigenblatt, in die satte Farbe getaucht und auf die Leinwand gedrückt, fungiert als eine Art Brixy -Stempel. Dabei interessiert den Künstler weniger die Symbolik des Feigenblattes in Kunst -und Kulturgeschichte, obwohl er sich durch die unzähligen Interpretationen geschmeichelt fühlt. Für den lebenshungrigen Kreativen ist es eher ein ästhetisches „Schmuckstück“ aus dem Garten, quasi das i-Tüpfelchen auf der Leinwand.
"Kopf Kino"
Wer großformatige knallbunte Landschaften, Berge, Täler, Seen, Höhlenformationen und Horizontlinien auf den Leinwänden von Brixy erkennt, ist nicht allein. Energische Farbbewegungen lassen in jeder Arbeit organische Formen erkennen, sodass das abstrakte Kunstwerk zwar offiziell ungegenständlich, aber im Auge des Betrachters immer mit einem gegenständlichen „Kopf - Kino“ verbunden ist. Linien, Formen und Farben, Strukturen und spektakuläre Techniken vermischen traditionelle Mittel mit experimentelleren Ideen. Durch die vielen Farbschichten auf der Oberfläche bleibt aber im Entstehungsprozess ein Überraschungsmoment, wie jedes Kunstwerk seinen finalen Siegeszug antritt. Genau diesen Prozess beschreibt Brixy als große Leidenschaft und Kern seiner Malerei.
Die runden Leinwände: Tondi
Brixy als Weltenbummler: Besonders herausragend sind auch die runden Leinwände des Künstlers, sog. Tondi. Seit der Antike berühmt und meist an der Decke mit der Architektur verbunden, reisten seine runden „Bamboo Bubbles“ zusammen mit starkfarbigen Überformaten für eine Ausstellung sogar in diesem Sommer nach Venedig. In dem Prachtsaal der Biblioteca Nazionale Marciana am Markusplatz mit vergoldeten Schnitzereien treffen die Runden auf Deckengemälde der berühmtesten venezianischen Renaissancekünstler wie Veronese oder Tizian aus dem 16. Jh.. Veronese 2.0 könnte man meinen, simuliert das kreisrunde Format mit den abstrakten gerakelten Farbflächen doch tatsächlich eine ähnliche perspektivische Sicht von unten nach oben, genannt ital. sotto in su, wie seine berühmten Vorbilder. Als wäre ein Veronese Tondo 500 Jahre später in einem Hollywood-reifen Sciencefiction gelandet. Das Spannende daran ist, dass der Betrachter die neuen Brixy Tondi mit den eleganten 500 Jahre alten Deckengemälden des historischen Saales ständig vergleicht.
Stecken doch hinter den „Bamboo Bubbles“ verwischte Motive eines berühmten Renaissance Malers? Entspricht das Goldgelb im Mittelpunkt des „Tapestry Bamboo Bubble“ nicht genau dem 500 Jahre alten gemalten Kleidungsstück aus dem 16. Jh.? Oder möchte Brixy hier eine flirrende organische Farbmaterie der Gegenwart im Vergleich zu den einundzwanzig runden Deckengemälden der Vergangenheit, welche Gelehrsamkeit und Ihre Tugenden mit Göttern und Helden darstellen, thematisieren? Eine Antwort auf die Fragen findet jeder Betrachter selbst. Denn die einheitliche Lesart seiner Werke lehnt Brixy ab.
Zentrale Rauminstallation
Mittelpunkt und auch Höhepunkt der Ausstellung ist eine drei Meter hohe freistehende Rauminstallation in Form eines Oktogons, direkt unter dem achteckigen Deckengemälde des berühmten Renaissancekünstlers Tizian. Der Besucher läuft um die Installation herum mit Blick zur Decke gerichtet und soll so die Antiken inspirierte Renaissance Malerei mit der zeitgenössischen Kunst. Unmittelbar in Verbindung setzen. Die klassische Malerei wird im Auge des Betrachters mit der zeitgenössischen ungegenständlichen Kunst verschmolzen. Das Auge des Betrachters ist in jedem Fall enorm gefordert, den Input der klassischen Renaissancemalerei im Prachtsaal aufzunehmen und die gemalten Götter und Helden, Philosophen und Gelehrten mit der schrillen Expressivität eines Brixy zu vereinen. Wissenschaftlich bewiesen ist bekanntlich, dass sich Gegensätze- welche auch immer- kurzfristig enorm anziehen.
Teil des Biennale-Projekts „At Home Abroad“
Die besondere venezianische Ausstellung ist Teil des Ausstellungsprojekts „At Home Abroad“, einer Serie von vier aufeinanderfolgenden Einzelausstellungen zeitgenössischer Künstler, die sich im Rahmen der 60. Biennale Arte künstlerisch mit dem Thema Fremdheit und Fremdsein auseinandersetzt. Die „Beschreibung der Welt“ ist der Titel und Namensgeber der Brixy Ausstellung und bezieht sich auf das Werk keines geringeren als Marco Polo. Denn ein Steinwurf entfernt, werden im Museum Globen und das Testament des berühmten Reisenden präsentiert.
Inspiration durch Reisen
Als interessierter Reisender, der seine Inspirationen auch aus Bali, Indien und Mexiko holte, ist Brixy mit samt seinen Werken zu verstehen. Denn Kreativität und Reisen sind schon immer aufs Engste miteinander verbunden. Der Wunsch, das bekannte zuhause zu verlassen und zu neuen Ufern aufzubrechen, geht immer mit erstaunlicher künstlerischer Produktivität einher. So bieten die zeitgenössischen Werke von Dietmar Brixy inspirierende Perspektiven und sind, ohne sozialkritische Hintergründe im Focus zu haben, Ergebnisse ihrer Zeit mit hohem Wiedererkennungswert.
Der Farbrausch als Leitmotiv seiner Leidenschaft hat nun auch in Venedig gehörig Eindruck hinterlassen!
Eure Cornelia